Die Wahrheit der Historiker

Der Geschichtswissenschaft, und nicht nur ihr, ist unmerklich der Begriff der Wahrheit abhandengekommen, und mit ihm auch derjenige von Tatsache und Quelle. ber die Rankesche Absicht, lediglich zu sagen, wie es eigentlich gewesen, lcheln die Kenner. Wenn alles Text ist und alles Rhetorik, wenn man nicht mehr wissen will, was war, sondern nur noch, wie darber geredet wurde, wenn vorgeblich die Beobachtung das Beobachtete schafft und alle Erinnerung irreparabel alles verflscht, dann verschwimmen die Grenzen zwischen Wahrheit und Fiktion, geht die Wirklichkeit verloren, gilt nicht mehr Demut, sondern nur noch Deutungshoheit. Historiker sollten dann lieber gleich Romane schreiben. Dabei ist wahr/nicht wahr der Code und das Gesetz aller Wissenschaft. Es ist also zu fragen, ob nicht vor lauter Selbstkritik und Komplexittsfreude einiges Grundstzliche vergessen wurde. Es ist leicht, sich ber den Erkenntnisoptimismus der Positivisten des 19. und 20. Jahrhundert lustig zu machen, aber das enthebt keineswegs davon, sich (oft mit ihrer Hilfe) um die Richtigkeit der Fakten zu bemhen, auch wenn diese nur ein Gerst liefern knnen, mit dessen Hilfe der phantasiebegabte Historiker die Vergangenheiten rekonstruiert - das Konstruieren mu und darf er indes den Dichtern berlassen. Der vorliegende Essay verschafft berblick ber eine seit mehr als hundert Jahren whrende, beraus aktuelle Diskussion, die an die Grundfesten der Geschichtswissenschaft rhrt, und ldt dazu ein, zu Vernunft und Augenma zurckzufinden, damit Geschichtsforschung und Geschichtsschreibung sich nicht so weit vom menschlichen Leben und Erleben entfernen, da sie schlie lich niemanden mehr interessieren.